Dienstag, 21. Dezember 2010

Rückblicke – Hurra, sie kann lesen!


Wozu ein Blog, wenn ich nichts reinschreibe? Nun, die letzten Wochen war es einfach Zeitmangel. Um aber den guten Vorsatz, hier täglich zu schreiben, nicht bis auf den allgemeinen Tag der guten Vorsätze, den ersten Januar, zu schieben (und dann den Vorsatz doch nicht zu halten), gönne ich mir jetzt mal eine Pause vom Alltag und schaue ein wenig zurück, zurück in die Jahre, in denen ich lesen und schreiben lernte.


Schon als Kind faszinierte mich die Tatsache, dass schwarze Zeichen auf weißem Papier einen Menschen so fesseln konnten, dass ihm alles andere unwichtig war. Natürlich kannte und hatte ich Bilderbücher. Aber die wurden schnell langweilig, Bilder interessierten mich nicht so sehr. Und das bisschen Text, das konnte ich nach dreimal Vorlesen auswendig. Ich entdeckte in unserer Wohnung Bücher und Zeitungen, mit vielen, vielen schwarzen Zeichen. Diese schwarzen Zeichen erzählten spannende Geschichten, das stellte ich sehr schnell fest. Immer wieder bettelte ich: Was steht denn da, was heißt das, bitte lies es mir vor! Ich war begeistert, dass bedrucktes Papier soviel berichten konnte. In der Zeitung standen täglich schlaue Sachen: Wie das Wetter wird, was man einkaufen konnte, über Menschen, die Fußball spielten, über andere Menschen, die an mir unbekannten Orten irgend etwas machten, ich wollte alles wissen, was in der Zeitung stand. Bücher waren noch besser, darinnen befanden sich Märchen und Geschichten.Nur einen Haken hatte die Sache: Ich brauchte eben einen Vorleser. Geduldige und willige Opfer fand ich in meinem Großvater und meiner Uroma. Andere Familienmitglieder flüchteten oft, wenn ich ein Buch anschleppte...diese beiden Lieben aber lasen geduldig vor. An dieser Stelle: Ein riesengroßes Dankeschön! Leider konnten und wollten sie nicht unbegrenzt vorlesen, was ich als Kind gar nicht verstehen konnte. Es wurde Zeit, dass sich was änderte!

Den Prozess des Lesenlernens rang ich meinem Großvater ab. Mit den ersten erlernten Buchstaben formte ich nach und nach Wörter. Zuerst ganz kurze, Opa schrieb vor und ich fuhr mit dem Finger nach.
Schwere Kämpfe hatten wir mit au, ei, und eu, aber ich gab nicht auf. Andere Hürden tauchten auf, wir nahmen eine nach der anderen. Beständig war ich auf der Suche nach Lesbarem. Die alten Bilderbücher gaben nicht viel her, sie boten einfach viel zuwenig Stoff. Aber es gab Gegenstände im alltäglichen Leben, auf denen Buchstaben waren. Einer davon war die Kondensmilchdose. Und mein erstes langes Wort war: Bärenmarke.

Nachdem ich den Kampf mit den Buchstaben zum ersten Mal in meinem Leben gewonnen hatte, sich die schwarzen Zeichen zu Wörtern, die Wörter zu Sätzen und die Sätze zu einer Geschichte geformt hatten, ging ein Aufatmen durch die gesamte vorlesegeplagte Familie. Sie kann lesen!
Das hielt allerdings nicht lange vor, denn wir hatten nur die Rollen vertauscht. Bisher hieß es: Lies mir was vor, bitte! In dem Fall konnten sie bestimmen, wie lange die Lesestunde dauern sollte.
Aber nun verdrehten sie die Augen, wenn ich daherkam, mit einem Buch oder der Zeitung in der Hand, denn sie mussten stillsitzen und mir zuhören. Ich verstand die Welt nicht mehr. Für mich war es die größte aller Freuden gewesen, wenn mir jemand vorlas, warum nur freuten sie sich nicht auch? Sie brauchten doch nur da zu sein und mir zuzuhören! Diese Phase dauerte aber nur wenige Wochen, zum Glück für alle Beteiligten.

Denn bald entdeckte ich, dass es noch viel spannender war, leise und alleine zu lesen. Es ging auch viel schneller. Mein erstes selbstgelesenes Buch, damals war ich noch nicht ganz 6 Jahre alt, noch nicht in der Schule, hatte schätzungsweise 100 Seiten, Großdruck, und handelte von einem kleinen Mädchen und einem noch kleineren schwarzen Hund. Hoffentlich willst du jetzt nicht auch einen Hund haben, sagte meine Mama, wenn ich mich stundenlang ins Buch verkroch. Nein, ich wollte keinen Hund. Ich wollte mehr Bücher!
Nur diese Familie - der konnte ich einfach nichts recht machen. Sie fingen an, ihre Bücher vor mir zu verstecken. Dafür bist du noch zu klein, war nun die neue Devise. Ich las trotzdem alles, was ich in die Finger bekam. Und ein neuer Wunsch tauchte auf: Ich wollte schreiben.


3 Kommentare:

  1. Liebe Christiane,

    fast auf Eisregen hoffend und auf Schulschließung in Folge sitze ich heute Abend an meinem PC, lese Deinen langen Kommentar, denke mir so: "Ach, wer weiß, ob ich für morgen überhaupt noch eine Vorbereitung brauche?" und beschließe, doch mal für ein Weilchen Deinen schwarzen Buchstaben zu gehorchen um Deine Kindheitsbilder in mich zu schlürfen.
    Ha, wie schön! Da kommen mir doch gleich auch ein paar Bilder in den Sinn. So bekam ich damals ENDLICH meine erste Fibel. Nach den Osterferien 1960 sollte die Schule beginnen. Der Schuljahreswechsel war damals noch zu Ostern. Und in besagten Ferien bekam ich besagte Fibel. Ach, was für ein Schatz!!!
    Ich konnte schon ein paar Buchstaben lesen und tüftelte mir erste Wörter zusammen. Mein Opa hatte Geburtstag und wir waren in Osnabrück um mit ihm zu feiern. Es war am 6. April. Ich allerdings war tief versunken und mochte mit dem Tüfteln gar nicht aufhören. Immer wieder fand ich ein neues Wort heraus und war ganz stolz darauf, wenn es ohne Hilfe klappte. Dann wurde zum Kaffeetisch gerufen - uninteressant für mich. Aber ich gehorchte.
    Doch gab es mir einen unvergesslichen Stich, als meine Stiefgroßmutter (die ich niemals Oma nannte), mir das Buch unwirsch aus der Hand nahm und dies kommentierte mit: "Nun lass das mal, sonst langweilst du dich nachher in der Schule. Ich packe es jetzt mal weg."
    Das konnte ich als Kind nicht begreifen. Ich wollte so gern in die Schule, ich wollte lernen und freute mich drauf, dass es endlich losgehen sollte. Und dann diese Bremse ...
    Wie gut es meine "Süßen" doch heute haben, denn ein Bremsen beim Lernen ist undenkbar! Wer vorwärts will, bekommt jede Gelegenheit dazu. Allerdings macht es mir als Lehrerin auch viel mehr Arbeit ... doch der Lohn ist einfach zu schön! Sagte doch ein Mädchen nach zwei Schulwochen ganz empört zu mir: "Du, das Blatt eben, das war für mich aber gar keine Herausforderung ...". Eine 6-jährige Klugschnute ... köstlich! Und gerade sie holt mir eigene Schulerlebnisse immer wieder ins Bewusstsein.

    Nun will ich aber doch mal sehen, was ich für morgen zurechtlege in meinem Korb der Möglichkeiten. Vielleicht mangelt es ja auch ganz extrem an Kindern ...

    Liebe Grüße und auf weitere nette Begegnungen, Leserin 111 (schöne Zahl!)
    ULL-Rike - heute mal als ORD-Rike

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  2. Kreative ORD-ULL-Rike,
    oh, ich lese und ich kieke,
    was du hier so alles schreibst,
    und ich hoffe doch, du bleibst
    mir als Leserin gewogen,
    fühlst dich manchmal hergezogen!

    Es grüßt Dich ganz herzlich: 111 (die gestern abend zur gebührenden Würdigung der Schnapszahl zwei klitzekleine Adventschnäpschen gekippt hat, einen auf Dich und einen auf mich)

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  3. ein sehr schöner text! jetzt musst du nur noch aufschreiben, wie wir lesen gelernt haben! ich kann mich nämlich leider nicht mehr richtig erinnern. außer natürlich an "den wald von paraguay" :-)))

    deine s. aus wien

    p.s. ich wollte schon ganz lang hier etwas kommentieren, aber bin nicht dazugekommen! ich ruf dich spätestens heiligabend noch an.

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