Die folgende Geschichte war ein Beitrag zu einem Wettbewerb auf pagewizz. Ich hätte ein iPad gewinnen können, war leider nix. Spaß gemacht hat's trotzdem!
Gerlinde
Salzmann kocht
Gerlinde
ächzt und stöhnt, als sie den schweren gusseisernen Topf vom Herd
zur Arbeitsplatte trägt. Sie lüpft den Deckel und sieht in den Topf
hinein, schnuppert, ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf ihrem
runden Gesicht aus. Mit einem Zipfel ihrer karierten Schürze wischt
sie sich den Schweiß von der Stirn, blonde Löckchen kringeln sich
feucht im Nacken. „Dem Himmel sei Dank, das wäre geschafft“,
murmelt sie und legt den Deckel wieder auf. Sie greift nach der
Kaffeekanne. Mit der gefüllten Tasse und einer dicken Scheibe vom
noch warmen, überbackenen Krabbenbrot, frisch aus dem Ofen, lässt
sie sich am Tisch nieder und beißt ein gewaltiges Stück ab. In
Gedanken geht sie ihren Arbeitsplan für den Tag noch einmal durch.
Bereits am Abend vorher hat sie Gräten, Flossen und Fischköpfe mit
Wasser und Gewürzen aufgesetzt und das Ganze über Nacht leise
köcheln lassen. Frühmorgens hat sie kleingeschnittenes Wurzelgemüse
dazu gegeben und safrangelbes Salz. Der Fischfond ist ihr wunderbar
gelungen, da ist sie ganz sicher. Er bildet die Grundlage für ihre
berühmte Bouillabaisse.
Heute
ist DER Tag des Jahres für sie, besser als Weihnachten und
Geburtstag zusammen. Heute ist Karfreitag, und Gerlinde kocht,
schmort, dünstet, brät und grillt Fisch. Fisch in allen
Variationen, die Bouillabaisse ist erst der Auftakt. Sie beißt noch
einmal vom Krabbenbrot ab und spült mit einem Schluck Kaffee nach.
Heute ist auch der Tag, an dem sie zum ersten Mal ihre Gäste mit
buntem Salz überraschen wird. Sie hat es vor ein paar Wochen erst
entdeckt. Beim Surfen im Internet stieß sie auf eine Webseite, die
farbiges Salz zum Kochen und Garnieren anbot, Salz in verführerischen
Farben, Salz in leuchtenden Tönen. Angeblich sollte man die Farben
sogar schmecken können. Gerlinde war skeptisch, ob das stimmte, aber
sie war auch neugierig. Gerlinde bestellte. Gerlinde probierte.
Gerlinde schmeckte Farben – ja, es war kein Werbegag, es war und
ist die Wahrheit! Und Gerlinde war und ist begeistert.
Nach der
Fischsuppe wird sie einen Meeresfrüchtesalat servieren, angerichtet
auf einem Bett aus grünen Spargelspitzen, gewürzt mit smaragdgrünem
Salz. Dann eine Lasagne, gefüllt mit Lachs, Spinat und rosa
Pfeffersalz ... Forelle Müllerin mit Petersilienkartoffeln und
Bärlauchsoufflé, mit einem Hauch von zartgrünem Limonensalz ...
Zeit für einen leichten Zwischengang, Hechtklößchen, aufgewertet mit
silbergrauem Edelsalz aus der Normandie, mit Rote-Bete-Carpaccio
(Gerlinde vermerkt im Geiste, dass das weinrote Salz zur Neige geht).
Gerlinde
seufzt. Wie trostlos war die Zeit, als sie sich auf Speisesalz,
Meersalz und Fleur de Sel beschränken musste! Jetzt, mit den vielen
bunten Salzsorten, würde sie sich endlich ihren ersten Stern
erkochen. Und dann vielleicht sogar im Fernsehen auftreten. Eine
eigene Kochshow haben. Den Titel hatte sie schon im Kopf: „Gerlinde
Salzmann – die Salzfrau kocht!“
Nächster
Gang: gebackener Zander mit Grilltomaten, feurig rotem Chilisalz und
Rosmarinrösti ... Krapfen blau, mit jungen Möhrchen und
Kartoffel-Sellerie-Püree, das Püree bestreut mit aquamarinblauem
Salz. Danach wird sie ihre allerneueste Kreation auf den Tisch
bringen, ein Sorbet aus Räucheraal und Wildkräutern, garniert mit
Miesmuscheln und einem Topping aus Blattgold und grobem Meersalz –
ausnahmsweise in reinem Weiß. Alle Welt schwärmte von Sorbet,
Gerlinde hatte es erst gar nicht verstehen können, das war doch Eis,
was sollte Eis in einem Menü, bis sie einen Eigenversuch gemacht
hatte. Selbstverständlich war es ein salziges Sorbet. Gerlinde hält
nichts von der Unart, Zucker zu verwenden. Ihr erstes Salzsorbet
schmeckte ihr ganz vorzüglich, sie experimentierte mit verschiedenen
Zutaten und entdeckte immer neue Sorbetvarianten. Heute also das
Räucheraalsorbet. Es wird gerade in der Eismaschine auf den Punkt
gefroren, die Maschine brummt leise vor sich hin. Gerlinde erhebt
sich, ein wenig schwerfällig, schließlich ist sie schon seit fünf
Uhr morgens auf den Beinen. Sie schaltet die Maschine aus und kostet
eine Fingerspitze Räucheraalsorbet. Ja, es ist perfekt.
Das
prickelnd kalte Sorbet räumt den Magen auf und schafft Platz für
mehr. Das ist Gerlinde wichtig. Denn sie kocht gern, sie kocht gut,
und sie kocht viel. Sie legt großen Wert darauf, dass keiner ihrer
Gäste hungrig nach Hause gehen muss. Obwohl es auch nicht so schlimm
ist, wenn etwas übrig bleibt. Das isst dann eben Gerlinde selbst
auf. (Gerlinde ist, ganz nebenbei gesagt, manchmal ein klein wenig
gefräßig). Hin und wieder warnt ihr Arzt, sie möge generell nicht so viel
und vor allem nicht so viel Salz essen. 'Der Blutdruck, Frau Salzmann, der Blutdruck!' Doch
Gerlinde lacht dann nur. 'Jaja', sagt sie, 'und beim Zucker? Was sagen
Sie da, Herr Doktor? Und beim Ei? Und beim Fleisch? Wissen Sie, Herr
Doktor, ich kann nicht ohne Salz. Und seit es Salz in so wunderbaren
Farben gibt, kann ich überhaupt nicht mehr widerstehen!' - 'Hmm', macht
der Arzt. 'Essen Sie viel Fisch, Frau Salzmann, das ist ein kleiner
Ausgleich!' Gerlinde grinst in sich hinein. Was braucht sie mehr zum
Glücklichsein, außer Fisch und Salz?
Gleich
nach dem Sorbet geht es weiter: Wolfsbarsch in einer dicken
Salzkruste, begleitet von grünen Bohnen und Knoblauchbaguette. Als
kleines Extra hat sie sich eine violette Salz-Feigen-Mousse
ausgedacht, die soll dem Wolfsbarsch den letzten Schliff geben. Ah,
Gerlinde läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Auf der Anrichte
steht ein Steingutfässchen, darin eingelegt sind fangfrische
Matjesheringe. Gerlinde fischt einen heraus und verschlingt ihn
gierig.
Sie
sieht sich in der geräumigen Küche um und überlegt, was sie als
Dessert zaubern kann. Nach dem Wolfsbarsch will sie noch
Blätterteigpastetchen mit Haifischflossenragout kredenzen, den
Tellerrand dekoriert mit Gänseblümchen und pinkfarbenem Salz,
gewissermaßen als Abschluss der üppigen Fischgänge und als
Überleitung zum Nachtisch. Doch sie sieht nicht ein, warum sie ein
süßes Dessert anbieten soll. Dieses klebrige, pappige Süßzeug
macht doch die ganzen vorherigen Geschmacksexplosionen zunichte. Da
fällt ihr Blick auf ihr wohlgefülltes Salzregal. Das ist die
Lösung! Mit den vielen leuchtenden Farbnuancen hat sie ungeahnte
Möglichkeiten. Sie wird Biskuitböden mit leicht salzigem Einschlag
backen, eine cremige Füllung aus Thunfisch und Sauerrahm herstellen,
beides zu Petits Fours zusammensetzen und diese mit einem Guss aus
geschlagenem Eiweiß und buntem Salz verzieren.
Es wird
niemandem auffallen, dass die Petits Fours salzig statt süß sind.
Denn keiner der Gäste wird bis zum Dessert durchhalten. Keiner,
außer Gerlinde selbst. Denn Gerlinde Salzmann ist: eine meisterhafte
Köchin. Eine Feinschmeckerin mit Fassungsvermögen und Profil. Eine
Fischliebhaberin durch und durch. Keine Süße, sondern eine Salzige.
Und eine glühende Verehrerin von buntem Salz!